„Bitte schreiben Sie mich nicht ab!“
Ich sitze hier auf dem Gang vor meinem Unterrichtsraum. Neben mir ein Stapel Klausuren. Vor mir eine einzelne. Ich schaue den Flur herunter und sehe dich auf mich zukommen. Dein Gesicht zeigt ganz deutlich eine große Unsicherheit.
Du setzt dich vor mich auf den Stuhl und übernimmst direkt das Wort. Du entschuldigst dich für dein Klausurergebnis, sagst einen Ausfall vorher und gerätst in einen Redeschwall, was alles schief gelaufen ist. Ich bin überrascht. Deine Klausur hat mir gezeigt, dass du dir ein paar Dinge nochmal anschauen musst. Aber ein Ausfall ist es nicht. Ich überlege kurz, ob ich direkt etwas sagen soll, unterbreche dich aber nicht, sondern höre dir zu.
Du endest mit einem Satz, der mich innerlich so sehr berührt, dass er heute dafür sorgt, dass ich diesen Text niederschreibe. Weil es mich immer noch beschäftigt. Du sagst: „Tun Sie mir einen Gefallen: Bitte schreiben Sie mich nicht ab! Ich kann das besser.“ Der Satz geht mir durch Mark und Bein, weil es so sehr meinem Selbstverständnis als Lehrkraft widerspricht.
Ich gebe dir deine Klausur zurück, freue mich mit dir über deine Note, die du offensichtlich nicht erwartet hast. Wir besprechen, wo es Knackpunkte gab und ich zeige dir den Klebezettel, den ich vorne angebracht habe. Dort stehen Themenschwerpunkte vermerkt, die du wiederholen solltest. Ich motiviere dich. Ich bin der festen Überzeugung, dass du nicht alles zeigen konntest, was du eigentlich kannst. Das sage ich dir. Und ich erkläre dir, dass mir im Leben nicht einfallen würde, dich „abzuschreiben“. Wir reden darüber, was du tun kannst. Was ich tun kann. Ich zeige dir, worauf du in der nächsten Klausur achten solltest. Dann nimmst du deine Klausur und gehst in den Klassenraum.
Dein Gesicht ist nun viel entspannter. Du lachst. Ich schaue dir nach und lasse einen Moment meine Gedanken schweifen. Du drehst dich nochmal um und fragst lächelnd: „Wen soll ich Ihnen als nächstes schicken?“ Ich nehme die nächste Klausur in die Hand und sage dir den Namen. Du gehst mit einem „Alles klar!“ weiter in Richtung Unterrichtsraum.
Nie im Leben würde es mir einfallen, dich abzuschreiben. Irgendjemanden abzuschreiben. Du könntest nur 5en schreiben und ich würde trotzdem nicht müde werden, dir zu sagen, dass du mehr kannst. Weil ich es wirklich glaube. Und ich glaube an dich.
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