Stop Motion-Erklärvideos im Mathematikunterricht. Ein Versuch
Wer kennt sie nicht? Die nahezu obligatorische Projektwoche vor den Ferien. Auch ich habe sie erlebt und war gleichzeitig als Klassenlehrerin in der Lage, meine Klasse für ein Projekt einzuspannen. Dass in einer Projektwoche Mathematik gemacht wird, ist eher ungewöhnlich. Das zeigte auch das Feedback von erstaunten Kollegen, die zwischendurch reinschauten. „Da sitzen die Schüler und machen Mathe? Freiwillig?“, lautete die überraschte Aussage eines Kollegen. Ja, sowas geht Und deshalb erzähle ich dir heute, wie ich in meiner Projektwoche Erklärvideos für das Fach Mathematik erstellen ließ, welche positiven und verbesserungswürdigen Aspekte ich beobachtet habe und ob ich es wieder machen würde. Ach, ich kann nicht anders und nehme es vorweg: Auf jeden Fall!
Vorwort: Wie es zum Projekt kam
Ich wollte schon unheimlich lange Erklärvideos im Mathematikunterricht erstellen lassen. Nicht zuletzt war nach einer Diskussion im Kollegium mein Ehrgeiz entfacht worden, als mir von einem Kollegen gesagt wurde, das ließe sich nicht umsetzen. Erklärvideos seien eine nette Spielerei, aber mehr auch nicht. Der Aufwand und die Ergebnisqualität könnten nicht in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Und außerdem seien die Produkte vielfach einfach nicht gut. Wer mich kennt, weiß, dass ich so etwas nicht auf mir sitzen lasse Vor den Ferien war meine Stunde also gekommen und ich eröffnete meiner Klasse, dass wir Erklärvideos erstellen würden.
Die Begeisterung hielt sich zu diesem Zeitpunkt aber noch in Grenzen. Keine Ausflüge wie die anderen Klassen? Stattdessen in der Schule sitzen und Mathe machen? Irgendwie kann man es ja verstehen.
Themenwahl
Ich bin ein Fan davon, möglichst viel Verantwortung an meine Schüler abzugeben. Das wäre auch mein übliches Vorgehen hinsichtlich der Themenwahl in einer Projektarbeit. In diesem Fall habe ich jedoch anders entschieden. Ich habe Themen vorgegeben, die die Klasse sich selbst in eigenständig gewählten Gruppen aufgeteilt hat.
Die Gründe dafür sind simpel: Gerade, weil ich das Konzept der Erklärvideos selbst mit den Schülern erproben wollte und keine Expertise im Umgang mit der gewählten App voraussetzen konnte, entschied ich mich dafür, das neue digitale Medium nicht mit neuen, mathematischen Themen zu kombinieren. Das hätte vermutlich zu Überforderung durch neue Inhalte, neue zu erprobende Medien und damit zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen geführt.
Spaß ja, aber nicht ohne Sinn!
Wichtig war mir dennoch, dass die Themen sinnstiftend sind. Ich sollte der Klasse ja idealerweise sagen können, warum wir über schon behandelte Themen nochmal Erklärvideos machen. Ich habe die Themen also so ausgewählt, dass sie als Grundlage für die im folgenden Schuljahr behandelten Inhalte dienen und zur Wiederholung genutzt werden können. Denn das Thema Funktionen wird im Rahmen des Spiralcurriculums auf verschiedenen Stufen bis zum Abitur immer wieder aufgegriffen. Erklärvideos, um sich selbst später zu erinnern, was es mit quadratischen, Potenz- und Wurzelfunktionen nochmal auf sich hatte, wie man Nullstellen, y-Achsenabschnitte bestimmt oder wie die Funktionsgraphen mit ihren Symmetrieachsen aussehen, sind also eine nützliche Angelegenheit.
Vorbereitung
Von jetzt auf gleich kann man in solch ein Projekt aufgrund der technischen Anforderungen nicht einsteigen. Die Klasse erhielt von mir bereits in der Vorwoche die Hausaufgabe, sich die App Stop Motion Studio zu installieren und sie auszuprobieren. So stellte ich sicher, dass nicht erst zu Beginn des Projekts eine Einarbeitung erfolgte, sondern direkt losgelegt werden konnte. Auch die Themen wurden bereits in der Vorwoche selbstständig von der Klasse verteilt.
Um den Schülern möglichst viel Freiheit zu lassen und Verantwortung zu übertragen, ist es wichtig, die Rahmenbedingungen klar zu kommunizieren. Ich entschied mich dafür, mit Sketchnotes einen Projektfahrplan zu erstellen, der dann kurz besprochen wurde und jederzeit sichtbar war. Das alleine war für mich schon eine neue Erfahrung – ich habe mich zum erstem Mal an Sketchnotes gewagt Was dabei herausgekommen ist, seht hier hier:
Ich werde jetzt im Folgenden den Ablauf des vier Tage dauernden Projekts darlegen und danach reflektieren, welche positiven und negativen Aspekte beobachtbar waren.
Projektablauf
Vielleicht erstmal etwas Organisatorisches: Wir waren eine der wenigen Klassen, die zur Projektwoche in der Schule zugegen waren, so dass wir das Glück hatten, eine ganze Etage an Räumen für uns zu haben. Die Klasse hatte bereits Gruppen von drei bis vier Schülern gebildet – in jedem Raum waren maximal zwei Gruppen tätig. Neben mir hat sich eine Mathematik-Kollegin freiwillig zur Projektbetreuung gemeldet. In jeder Gruppe waren mindestens zwei Smartphones vorhanden – in den meisten Gruppen hatte jeder Schüler ein Smartphone zur Verfügung. Wir haben jeden Tag vier Stunden effektiv gearbeitet, Pausen wurden sich selbstständig und nach eigenem Bedürfnis eingeplant. Vorteil: ein sich ggf. einstellender Flow wird nicht unterbrochen und individuelle Pausenbedürfnisse der Schüler werden beachtet.
Innerhalb der ersten 15 Minuten wurde der Projektfahrplan besprochen und kommuniziert, was das Ziel des ersten Tages sein sollte: Ein Konzept für das Stop Motion-Erklärvideo ausarbeiten. Dazu zählte zum einen eine Übersicht der Inhalte, die in dem Video Platz finden sollten. Zusätzlich forderte ich ein Storyboard ein, also eine Darstellung, was wann passiert und Ideen und Skizzen, wie die Stop Motion-Technologie sinnvoll eingesetzt werden kann. Jede Gruppe stellte meiner Kollegin oder mir ihre Konzeption am ersten Projekttag vor, so dass gezieltes Feedback gegeben werden konnte. Zur Verfügung standen den Gruppen alle Hilfsmittel, die sie verwenden wollten, z. B. Hefter, das Internet, Bücher.
Wie es in den folgenden Tagen weiterging
In den folgenden zwei Tagen arbeiteten die Gruppen dann in freier Zeiteinteilung, um ihre Materialien zu basteln, malen und drucken, das Video mit der Stop Motion Studio-App zusammenzustellen und Alles mit einer Tonspur zu unterlegen.
Der vierte und letzte Projekttag widmete sich gänzlich der Präsentation und Reflexion. Ich wählte den Gallery Walk, um den Schülern ausreichend Ruhe und Zeit zu geben, sich intensiv mit den einzelnen Videos auseinanderzusetzen. Zunächst legte jede Gruppe ihr Smartphone mit dem Video bereit, so dass dieses angesehen werden konnte. Jeder Schüler erhielt zu jedem Video, das er im Rundgang anschaute einen Feedbackbogen, um konstruktiv Kritik üben zu können. Gleichzeitig bewertete jeder Schüler jedes Video anhand von vier Bewertungskriterien mit einem Punkt auf einer Bewertungszielscheibe. Kritik wurde demnach verbal geäußert und eine Bewertung der wichtigsten Kriterien mit Hilfe der Zielscheibe visualisiert. Nachdem jeder Schüler jedes Video gesehen und bewertet hatte, gingen die Schüler zurück zu ihrem Smartphone und erhielten Zeit, sich Kritik und Bewertungen durchzulesen.
Das Projekt endete daraufhin mit einer gemeinsamen Reflexionsrunde, um Schwachstellen und Gelungenes im Projekt zu thematisieren und zusätzlich jede Gruppe ihre eigene Arbeit anhand folgender Fragen reflektieren zu lassen:
- Was ist im Projekt gut gelaufen, so dass ihr es bei erneuter Durchführung genauso machen würdet?
- Was ist nicht so gut gelaufen und was würdet ihr deshalb bei erneuter Durchführung verändern?
Reflexion: Das ist gut gelaufen
Die Projektarbeit hat sich aus meiner Sicht mehr als gelohnt. Die Schüler waren nach der ersten Ernüchterung, dass es um Mathematik gehen würde, mit Eifer dabei und widmeten sich ihren Themen voller Kreativität und Tatendrang. Das hätte keineswegs so kommen müssen. Aber die Arbeit mit ihren eigenen Geräten („Bring your own device“) stellte sich in Kombination mit dem Auftrag, ein Stop Motion Video zu erstellen, als sehr motivierend heraus.
Für mich selbst war die freie und offene Arbeit sehr angenehm, denn ich habe mich in genau der Rolle wiedergefunden, die ich in meinem Unterricht gerne ausübe: der des Lerncoaches. Ich habe meinen Schülern mit Feedback, Denkanstößen und in technischen Angelegenheiten zur Seite gestanden und den Lernprozess begleitet.
Die Ergebnisse übertreffen meine Erwartungen deutlich, denn die Technologie und die Arbeit mit Stop Motion Videos war für meine Schüler neu. Gerade deshalb hätte ich mit mehr Problemen und Videos gerechnet, die qualitativ stärkere Mängel aufweisen. Ich habe mich getäuscht
Reflexion: Das werde ich konkret ändern
Ich finde es unheimlich wichtig, meinen Unterricht stets angemessen zu reflektieren. So habe ich es natürlich auch beim Projekt gehandhabt, denn eines ist sicher: Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich Erklärvideos im Unterricht erstellen lasse. Hier also meine zehn Punkte, die ich in der nächsten Durchführung anders lösen werde.
- In der Reflexionsrunde wünschten sich die Schüler eine andere App, da sie auf dem kleinen Bildschirm so ungünstig zu bedienen und alles so schlecht zu erkennen sei. Die App Stop Motion Studio ist in ihrem kostenlosen Funktionsumfang allerdings unheimlich gut, die Usability ist hoch und die Bedienung sehr intuitiv. Deshalb werde ich die Kritik einiger Schüler auf eine andere Art und Weise aufgreifen und der Klasse für die Arbeit Tablets zur Verfügung stellen.
- Die Arbeitsorganisation der Gruppen war häufig nicht ideal. So kam es immer wieder dazu, dass einzelne Gruppenmitglieder nichts zu tun hatten oder es einen Leerlauf gab. Die Konzepterarbeitung am ersten Projekttag wird deshalb um einen Arbeitsplan erweitert, der darstellt, welche Aufgaben wann übernommen werden. So wird ein Leerlauf schon frühzeitig sichtbar und kann vermieden werden. Gerade die Arbeit mit einem einzelnen Smartphone bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich.
- Gleichzeitig möchte ich Vorlagen für die Konzepterstellung vorbereiten und als Leitfaden ausgeben. Gerade, wenn Schüler noch nie ein Konzept oder Storyboard angefertigt haben, kann solch ein Leitfaden mit entsprechenden Leitfragen sehr nützlich sein und den Lernprozess sinnvoll unterstützen.
- Neben der Arbeitsorganisation hat sich herausgestellt, dass 4er Gruppen schon nahezu ungünstig sind, da immer nur ein Schüler am Smartphone arbeiten kann (Ausnahme: Es stehen mehrere Geräte zur Verfügung und die Dateien werden dann zusammengefügt. Auch das kam in einer Gruppe vor, führte dann aber zu weiteren – vor allem technischen – Problemen). Die Gruppen mit drei Schülern arbeiteten im Allgemeinen effektiver und mit weniger Leerlauf. Daraus resultiert, dass eine erneute Gruppeneinteilung auf eine Dreierkonstellation setzen wird.
- Ein weiterer Kritikpunkt, den ich vorher zu wenig bedacht habe, ist die Präsentation der Videos im Gallery Walk. Ich hatte weder Adapter zur Verfügung, um die Vorführung am Smartboard zu ermöglichen, noch habe ich an die Privatsphäre meiner Schüler gedacht. Die Bildschirme sind einfach unheimlich klein für drei bis vier Personen und es ist ganz verständlich, dass Schüler ihr Smartphone nicht im Raum liegen lassen wollen, um anderen das Betrachten des Videos zu ermöglichen. Da muss man vorsorgen. Ich habe in dem Moment an meine Schüler appelliert und es gab auch keinen Vorfall, der an mich herangetragen wurde. Aber keine ideale Lösung und je nach Klasse kann das auch nach hinten losgehen.
Meine Lösung für den nächsten Durchgang: Ich sammle die Videos zuvor über USB-Sticks ein (ich habe mir vor geraumer Zeit USB-Sticks zum Anschließen ans Smartphone organisiert – diese eignen sich perfekt, um keine großen Umwege nehmen zu müssen). Darüber lassen sie sich dann leicht übertragen und am Smartboard präsentieren. - Obwohl die Schüler sich vorher bereits mit der App Stop Motion Studio auseinandersetzen sollten, bietet es sich an, am ersten Tag eine kurze Einführung in die App zu geben, in der die Lehrkraft die wichtigsten Funktionen kurz benennt und zeigt.
Dabei werde ich das Bild dem Smartphones an das Smartboard anschließen, und den Schülern live die App vorführen. Die Inhalte der Einführung können dann sowohl gezeigt als auch am eigenen Gerät direkt ausprobiert werden. Für eine Einführung kann auch das eigene Smartphone noch genutzt werden, so dass nicht jeder Schüler ein Tablet benötigt. - Im Zusammenhang mit der Einführung in die zu nutzende App bietet sich auch an, bedacht ausgewählte Beispiele zu zeigen. Im Idealfall sind das solche Videos, die die Stop Motion-Technologie besonders geschickt nutzen, um die Inhalte zu vermitteln. Bestenfalls wird dadurch die eigene Kreativität der Schüler beflügelt und eine Idee davon vermittelt, wie das Video am Ende aussehen könnte.
- Meine Schüler waren in den meisten Fällen mit großem Spaß dabei. Dabei ging vielfach unter, das bisher zusammengestellte mal zu testen. So kam es, dass einige Videos auf dem Kopf standen oder etwas dann doch nicht so aussah wie zuvor gedacht, so dass umständlich nachgeholfen werden musste. Von neu anzufangen, wenn schon viel Zeit vergangen ist, ist auch echt doof. Das nächste Mal werde ich also gezielt darauf hinweisen, zwischendurch Tests durchzuführen. Nur so kann man rechtzeitig sicherstellen, dass Alles so aussieht wie es aussehen sollte.
- Die Form des Feedbacks war meinen Schülern bereits bekannt. Auch dieses Mal konnte sich die Klasse auf diese Weise schnell und konstruktiv Feedback geben. Um noch mehr Transparenz zu gewährleisten, möchte ich die zu bewertenden vier Kriterien im nächsten Durchgang mit in den Sketchnote-Projektfahrplan einarbeiten. So sind sie permanent sichtbar und allgegenwärtig.
- Zum Schluss möchte ich dazu ermutigen, bewusst zu wählen welche Art der Erklärvideos erstellt werden sollen. Um den Fokus ganz klar auf die Inhalte und den angemessenen Einsatz der Technologie zu setzen, habe ich mich für Stop Motion entschieden. Dennoch kam sehr früh die Frage auf, warum es denn unbedingt Stop Motion sein müsse. „Normale“ Erklärvideos wären ja viel einfacher zu erstellen.
Wichtig ist, zu bedenken, dass besagte Erklärvideos schnell ins „Wir erstellen ein Tafelbild und erklären das dann“ abdriften. Auch das ist eine Leistung – keine Frage! Solch ein Video kann auch gut gemacht sein, ist aus meiner Sicht aber deutlich schwieriger spannend und kreativ zu gestalten. Auch neigen zurückhaltende Schüler gelegentlich dazu, die Verantwortung für die Präsenz im Video an Einzelne abzugeben. Bei üblichen Erklärvideos sollte man überdenken, sie mit Videobearbeitung einhergehen zu lassen, so dass dann zugunsten dessen auf den App-Einsatz verzichtet werden kann. Nicht zuletzt sollte unbedingt eine Einverständniserklärung der Eltern eingeholt werden, bevor die Schüler sich vor die Kamera begeben.
Was also tun? Sich für eines entscheiden und vorgeben? Eine freie Entscheidung der Schüler zulassen? Ich habe da keine Lösung für. Wichtig ist, seine Anfangsbeispiele und die Einführung daran anzupassen und gut gemachte Beispiele zu zeigen, an denen sich die Schüler orientieren können.
Puh, das ist jetzt unheimlich lang geworden. Ich freue mich, wenn du bis hierher gekommen bist und freue mich über dein Feedback. Welche Erfahrungen hast du mit Erklärvideos gemacht? Hast du bereits mit Stop Motion Studio oder einer anderen App gearbeitet? Lass es mich wissen
Wenn dir mein Beitrag gefällt, freue ich mich, wenn du auf meinen Profilen auf Instagram, YouTube oder Facebook vorbeischaust.
Xenia
Zurzeit bin ich immer auf der Suche nach Erklärvideos für das Fach Mathe. Die Schüler diese selbst erstellen zu lassen, finde ich eine großartige Idee! Das hat sie sicher motiviert, obwohl es um Mathe ging.
Bislang kenne ich aber keine Stop Motion Videos, sondern nur die „normalen“ von „Gut-Erklaert“, die mir aber auch schon öfter geholfen haben.
Schöne Idee. Ganz liebe Grüße!